Zitiert nach - "Die Neue Welt" Nr. 49 / 1905, S. 392 f.
Altgriechische Schriftsteller erzählen ein hübsches Geschichtchen, wie das Glas erfunden worden sei. Danach hätte ein Zufall dazu geführt. Phönizische Seefahrer wollten sich am Meeresstrand eine Mahlzeit bereiten. Es fehlte ihnen an Steinen für einem Herde. Da nahmen sie Sodastücke aus ihrer Schiffsladung als Untersatz für ihre Kochtöpfe. Zum Erstaunen der Schiffer floss infolge der Hitze des Feuers die Soda mit dem Kiessand des Bodens zu einem glänzendem Strome zusammen, aus dem nach dem Erkalten ein schöner durchsichtiger Stein, Glas wurde. Diese oft wiederholte Erzählung ist gewiss sehr nett, kann aber unmöglich wahr sein. Einmal kann freies Feuer unmöglich das flüssig werden des Glases bewirken und außerdem steht geschichtlich fest, dass die Phönizier gar nicht die Erfinder des Glases sind. Vielmehr sind sie hierin, wie in anderen Dingen, die Schüler der Ägypter und der Babylonier gewesen, bei denen schon Glas fabriziert wurde, als die phönizischen Handelsstädte noch gar nicht existierten. Hier ist dann freilich auch schon in ganz frühen Zeiten der kostbare Stoff hergestellt worden. Sidon und Sarepta waren die beiden phönizischen Städte, wo die Glasbereitung hauptsächlich blühte. Sarepta, wo nach Plinius das schönste Glas fabriziert wurde, hatte sogar seinen Namen von diesen Industriezweig. Sarepta heißt auf Deutsch: „Schmelze“. Ein Fluß, der in der Nachbarschaft von Sarepta ins Mittelmeer mündet, hieß bei den Phöniziern Sihor Libnath, Glasfluß, weil seine Ufer den besten Sand zur Glasbereitung lieferten. „Die Uferstrecke“, sagt Tacitus, „ist von mäßigem Umfang, aber unerschöpflich.“ Diese Unerschöpflichkeit hat ihren Grund darin, dass im Altertum das Glas nicht wie heute, ein Artikel des Massenverbrauchs, sondern ein kostspieliger Luxus war. Glasvasen und= Trinkgefäße waren sehr teuer; an Glasfenster dachte man gar nicht. Mit Vorliebe verfertigten die Phönizier aus Glas allerlei Spielsachen, für die sie bei fremden Völkern hohe Preise erzielten. Was heute noch von phönizischen Glaserzeugnissen erhalten ist, flößt Respekt ein vor der großen Fertigkeit, zu der es das betriebsame Völkchen schon vor zweieinhalb bis drei Jahrtausenden in der Glaserzeugung und Glasverarbeitung gebracht hatte. Sie verstanden das Produkt nicht nur einfach herzustellen, sondern auch zu schleifen, zu färben und zu vergolden. Alles das hat man noch viel früher in Ägypten verstanden. Am Nil wurde die Glaserzeugung und die Glasbläserei mindestens um 300 v. Christi schon betreiben. Bereits unter den Bildern eines Grabes in Sakkarah, das rund fünftausend Jahre alt ist, findet sich eins, das zwei Glasbläser darstellt, die mit ihren langen Rohren am Munde vor dem Schmelzofen hocken.
Ein jüngeres Gemälde stellt zwei Glasbläser dar, die durch ihre Rohre in einen Großen Krug hineinblasen. Es sind eine Menge altägyptischer Glaserzeugnisse erhalten. Neben Flaschen, Vasen, Schalen, Bechern sind bunte Glasperlen zu nennen, die als Halsschmuck sehr beliebt waren. Im ägyptischen Museum zu Berlin sind mehrere Mumien zu sehen, die mit einem Glasperlennetz geschmückt sind.. Auch wurden imitierte Edelsteine mit großer Geschicklichkeit aus Glas hergestellt. Bemerkenswert sind auch ein paar in allen Details vortrefflich herausgearbeitete bunte Glasfiguren, die im Museum von Bulak aufbewahrt werden..
Die ägyptische Glasfabrikation war ursprünglich besonders in der Pharaonenstadt Theben zu Hause. Später hauptsächlich in Unterägypten, wo die Natronseen lagen, aus denen die Soda zur Glasfabrikation in unerschöpflicher Fülle bezogen wurde. Als Alexandrien emporkam, wurde es bald ein Hauptmittelpunkt der Glasindustrie. Von hier ist sie im Mittelalter nach Venedig verpflanzt worden. Die ägyptischen Glaserzeugnisse wurden im ganzen Altertum ebenso hoch geschätzt und ebenso teuer bezahlt, wie die phönizischen. Dagegen hört man bei den klassischen Schriftstellern nichts von mesopotamischen Glaswaren. Wahrscheinlich war in Assyrien und Babylonien die Glasproduktion ebenso alt wie in Ägypten. wenn nicht älter. Glasierte Ziegel mit biblischen Darstellungen gehören zu den ältesten Hilfsmitteln der babylonischen Kunst. Die Glasgewinnung muss also am Euphrat und Tigris schon außerordentlich früh bekannt gewesen sein.. Es ist allerdings nicht viel Glas auf den mesopotamischen Trümmerfeldern gefunden worden. Was aber vorhanden ist, lässt auf eine bedeutende Fertigkeit schließen.
Im Britschen Museum ist eine hübsche Glasvase zu sehen, die in Keilschriftzeichen den Namen des assyrischen Königs Sargon (721- 704) v. Chr.) trägt. Auch sind bunte Glasgefäße zutage gefördert worden. Der bemerkenswerteste Fund aber ist eine plankonvexe Glaslinse. Wozu sie gedient haben mag, darüber ist sich die Wissenschaft bis jetzt nicht einig. Indes ist es sicher eine erstaunliche Tatsache, dass man in Mesopotamien schon vor zweieinhalb Jahrtausenden und länger in der Glasfabrikation weit genug gediehen war, um linsen schleifen zu können.
Anmerkungen Museum von Bulak: Vorstadt von Kairo, in dem ein Teil der Ausgrabungen von Sakkarah aufbewahrt wird. Der Großteil der Ausgrabungen ist im Louvre von Paris gelandet.
Mecklenburger Waldglasmuseum e.V.